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Politik führt Sicherheitspolitik und Sicherheitsindustrie der Schweiz in die Sackgasse

Politik führt Sicherheitspolitik und Sicherheitsindustrie der Schweiz in die Sackgasse

Autarkie ist für die Schweiz auch im Rüstungsbereich nicht realistisch. Doch je höher unser Wertschöpfungsanteil bei zentralen Technologien ist, desto stärker ist das Pfand gegenüber dem Ausland. Die rigide Regelung bei den Wiederausfuhrbewilligungen und das absolute Verbot von Lieferungen an Länder mit Konflikten schwächen unsere Position zusehends.

Der Zerfall war schleichend aber dramatisch: Nach dem Mauerfall 1989 demontierten linke Politiker und Historiker systematisch das Narrativ der bewaffneten Neutralität, z.B. mit der Bergier-Kommission, die das Verhalten der Schweiz im Zweiten Weltkrieg einseitig «aufarbeitete». Mit der Hoffnung auf Frieden in Europa wurde die Friedensdividende in Sozialkonsum umgeleitet. Armee und Sicherheitsindustrie wurden immer mehr zum Aschenputtel der Politik.
Dramatisch zeigt sich das an der Demontage und Zerstückelung der Ruag. 1998 in eine vom Bund gehaltene Aktiengesellschaft verselbständigt, eignete sie sich dank Ingenieurwissen und strategischer Positionierung über die Jahre einzigartiges Technologiewissen in Bereichen wie dem FA-18 oder der Raumfahrt an. Dieses Wissen sicherte die Einsatzbereitschaft der Systeme der Schweizer Armee über auch im Ausland aufgebautes Know-how. Noch wichtiger waren aber einzigartige Technologien, die unserem Land ein Pfand gegen technologische Abhängigkeiten vom Ausland gaben. Leider stellte sich der Schutz gegen Angriffe mutmasslich russischer Hacker als ungenügend heraus, was vor allem linke Politiker zur Zerschlagung des Konzerns nutzten. Unterstützt wurden sie durch reisserische Berichterstattung des Staatsfernsehens sowie einer in diesem Bereich politisch angetriebenen Eidgenössischen Finanzkontrolle. War es die Ironie der Geschichte, dass genau in der Frühjahrssession 2022 der Verkauf der weltweit führenden Munitionssparte Ammotec von Ruag an einen ausländischen Bieter erfolgte, mit der einzigen Zusicherung, die Munition auf einige Jahre in der Schweiz herzustellen?

Die Transaktion wurde und wird heftig kritisiert. Kritik ist gerechtfertigt – aber sie zielt auf den Falschen: Es waren und sind unsere gesetzlichen Rahmenbedingungen sowie der fehlende politische Mut des Ruag-Eigentümers, der Eidgenossenschaft, die erstens einen Verkauf notwendig machten und zweitens nur einen ausländischen Käufer zuliessen, weil dieser weniger innenpolitischem Druck ausgesetzt ist. Die Fakten zeigen das Dilemma der Ruag, in dem sich die ganze Sicherheitsindustrie der Schweiz steckt. Die Munitionsherstellung der Ruag ist in eine europäische Wertschöpfungskette des Unternehmens integriert. Pulver und Zündelemente werden aus dem Ausland bezogen. Das Werk in der Schweiz, in Thun, ist aber hochmodern. Es arbeitet ab einer Auslastung von rund 70 Prozent profitabel. Der Regelbedarf der Schweizer Armee sowie der Schützenvereine von 40 Millionen Schuss pro Jahr lastet das Werk aber nur zu rund 30 Prozent aus. Ohne Exporte würde somit nicht nur die Munition für die Schweiz massiv teurer werden, sondern es wären auch keine Investitionen in Innovation mehr möglich.

Innovation zeichnete Ammotec bisher aus – und auch Innovation im Rüstungsbereich kann, wie folgendes Beispiel zeigt, die Welt «verbessern». Das Unternehmen stellte Munition her, bei der Einzelpatronen pro Cachets eineindeutig identifizierbar sind. Für korruptionsgeplagte Staaten, wo die Bevölkerung unter Menschenrechtsverletzungen durch Militärs, Polizei und kriminelle Banden leidet und wo erstere an letztere illegal Munition verkaufen, wäre solche Munition zur Verbrechensaufdeckung und Korruptionsbekämpfung hilfreich gewesen. Man hätte nachvollziehen können, welche Militär- und Polizeieinheit welche Munition illegal verkauft hat, die Schuldigen bestrafen und die Bevölkerung besser schützen können. Allerdings hätte es Bilder von Zivilisten gegeben, die durch Munition der Ammotec zu Tode gekommen wären, und damit auch einen Aufschrei in den Schweizer Medien. Der Bund als Eigentümer scheute früher diese Reputationsrisiken – heute wäre der Export solcher Munition sogar gesetzlich ausgeschlossen. Die Kritik am Verkauf der Ammotec muss sich also gegen den Bund und das vom Parlament geschaffene gesetzliche Exportkorsett richten.

Mitte 2018 wollte der Bundesrat auf Anstoss des Parlaments die Kriegsmaterialverordnung anpassen: Der Export primär von Verteidigungswaffen sollte unter strikten Bedingungen auch in Ländern mit internem Konflikt zugelassen werden. Damit hätten beispielsweise Flugabwehrgeschütze nach Thailand verkauft werden können. Dort gibt es im Süden einen Konflikt zwischen Buddhisten und Moslems, in dem aber keine Flugabwehrgeschütze eingesetzt werden können. Diese wären vielmehr zum Schutz Thailands gegen seine bedrohlichen Nachbarn vorgesehen gewesen. Zudem wollte der Bundesrat die Aufrechterhaltung einer schweizerischen Industriebasis als eigenständiges Kriterium im Bewilligungsverfahren aufnehmen.
Der Vorschlag löste einen Sturm der Entrüstung aus. Dank professionellem Campaigning von Kirchen, Linken und Medien kamen innert kürzester Zeit 100 000 Unterschriften für die sogenannte Korrektur-Initiative zusammen. Das Parlament arbeitete in der Folge den heute geltenden Gegenvorschlag aus. Eine Mitte-links-Allianz entzog im Sommer 2022 – sieben Monate vor dem Ukrainekrieg – dem Bundesrat jegliche Handhabe für Ausnahmebewilligung aus aussen- und sicherheitspolitischen Gründen.

Mit dem Ukrainekrieg zeigte sich über Nacht, dass unser Exportregime ein unhaltbares Schönwetterkonzept ist. Kriege werden nach wie vor mit grossen Mengen an Waffen und Munition geführt; die Durchhaltefähigkeit der Verteidigung ist zentral; Auslandsabhängigkeit ist angesichts der hochkomplexen Waffensysteme gerade für einen Kleinstaat wie die Schweiz Realität – und Autarkie ist eine gefährliche Utopie.

Allerdings sind Kleinstaaten wie die Schweiz nicht einfach dem Ausland ausgeliefert: In der Pandemie erkannte die EU nach drei Wochen und drei aufgehaltenen Containern an Schutzmaterial, dass die Schweizer Tech-Industrie z.B. wegen Beatmungsgeräten überlebenswichtig für Europa war. Unser Land wurde postwendend und stillschweigend in den EU-Gesundheitsraum integriert und nicht mehr schikaniert. Je mehr unverzichtbare Unternehmen ein Land wie die Schweiz zur Produktion vor Ort anlocken kann und je höher der Wertschöpfungsanteil in der Schweiz bei zentralen Technologien ist, desto stärker ist also das sicherheits- und aussenpolitische Pfand in unserer Hand.

Heute aber gibt unser Land sein Pfand geradezu grobfahrlässig aus der Hand. Zum einen, indem es unter dem Deckmantel der Neutralität strikt Wiederausfuhrbewilligungen einfordert. Das ist schädlich. Der völkerrechtliche Kern der Neutralität kennt keine Wiederausfuhrbewilligung. Die Schweiz könnte sie einfach streichen, mindestens wie vorgeschlagen für Länder mit analogen internationalen Ausfuhrbestimmungen. So aber nimmt das Ausland die Position der offiziellen Schweiz als Ausflucht wahr. Denn wer bei Europas Notstand an Produktionskapazitäten die Belieferung der Ukraine mit Waffen ohne völkerrechtliche Notwendigkeit behindert, unterstützt letztlich den Angriffskrieg Putins. Und wer auf einem absolut rigiden Neutralitätsbegriff beharrt, obwohl unser Land historisch Neutralität nur dank einer pragmatischen und situativ angepassten Interpretation erfolgreich einsetzen konnte, zerstört willentlich aussenpolitisches Kapital und nimmt in Kauf, dass die – bei Kriegen immer unter Druck kommende – Neutralität der Schweiz international in Verruf gerät.

Zum anderen entwertet die Schweiz ihr Pfand, indem sie am absoluten Verbot des Verkaufs von Sicherheitsgütern an Staaten festhält, die in einem internen oder externen Konflikt stehen. Europa muss dringend und zwingend die eigenen Arsenale auffüllen und aufbauen. Weigert sich die Schweiz, bereits versprochene Güter zu liefern und diese zu unterhalten, fällt sie als Lieferantin weg. Genau das geschieht heute. Betroffen sind in erster Linie das gute Dutzend grosser Rüstungsfirmen, zumeist Tochterfirmen internationaler Grossunternehmen. Sie werden künftig im Ausland investieren – das Ausland baut also seine Abhängigkeit von der Schweiz ab. Aber auch die ganze Zulieferindustrie, die oft zentrale Komponenten und Güter für verschiedene Subbranchen wie Medtech, Raum- und Luftfahrt, Uhren-, Halbleiter oder die Autoindustrie herstellt, nimmt Schaden. Schliesslich landen wir bei Dual-Use-Gütern, die zivil und militärisch eingesetzt werden können. Treibt die unheilige Allianz in Bern ihre rigide Interpretation der Neutralität weiter, verliert die Schweiz nicht nur die Juwelen der Sicherheitsindustrie, sondern der Industrie generell.

Die Sicherheitsindustrie weist eine Wertschöpfung von etwa 2,3 Milliarden Franken auf und beschäftigt rund 14 000 Mitarbeitende. Doch aufgrund der Dual-Use-Thematik sind mehrere zehntausend Arbeitsplätze in Gefahr. Der Sicherheitsindustrie wird damit die Basis in der Schweiz entzogen. Auch das Konzept Sicherheit dank Kooperation mit der Nato (kein Beitritt) wird untergraben, weil hier jedes Land einen Beitrag leisten können und wollen muss. Und schliesslich verspielt unser Land viel aussenpolitisches Kapital.

Die Geschichte wiederholt sich nicht, aber man sollte aus ihr lernen: Nach dem Ersten traf der Zweite Weltkrieg die Schweiz unvorbereitet. Zu stark hatte man abgerüstet. Heute drohen Parteipolitik mit unheiligen Allianzen und ein führungsunwilliger Bundesrat unser Land erneut in eine Sackgasse zu führen. Die Zerstückelung der Ruag zeigt: Wichtige Teile der Sicherheitsindustrie wurden geschwächt. Umso wichtiger ist es, zu retten, was noch zu retten ist. Durch klare, auch für das Ausland verständliche Exportregeln, die auf dem völkerrechtlichen Kern der Neutralität basieren und pragmatisch sowie situativ interpretiert werden. Durch Investitionen in die Landesverteidigung mit 1 Prozent des Bruttoinlandprodukts bis 2030. Und durch eine breite gesellschaftliche Wertschätzung für die Landesverteidigung samt der Sicherheitsindustrie, die wir in den kommenden Jahren leider wieder nötiger haben werden als erhofft.

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