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Schweiz vor Deutschland! Wie lange noch?

Schweiz vor Deutschland! Wie lange noch?

Deutschland ist in eine Rezession gefallen. Das macht Sorge. Unser nördliches Nachbarland ist mit einem Exportanteil von 25 Prozent der wichtigste Absatzmarkt der Schweizer Tech-Industrie (MEM-Industrie sowie verwandte Technologiebranchen). Unsere Firmen spüren das bereits. 2022 war noch ein sehr gutes Jahr für unsere Branche. Aber im ersten Quartal 2023 nahm der Auftragseingang im Vergleich zum Vorjahr um 5 Prozent ab. Insbesondere die energieintensiven Firmen sind wegen massiv marktverzerrender, industriepolitischer Massnahmen unserer Nachbarstaaten enorm unter Druck.

Veröffentlich in Weltwoche, 8.06.2023

Die Schweizer Tech-Industrie hat sich lange besser geschlagen als befürchtet. Der erste Grund ist die globale Spitzenposition vieler der knapp 1400 Swissmem Mitgliedfirmen. Sie stellen in Nischenmärkten führende Produkte her, auf welche die Kunden angewiesen sind und bei denen Zuverlässigkeit sowie Qualität von Produkt und Service wichtiger sind als der Preis.

Ein zweiter Grund sind die Rahmenbedingungen. Anders als Italien oder Frankreich kennt die Schweiz keine Industriepolitik. Die Tech-Industrie beschäftigt heute mehr Personen als vor 20 Jahren, hat gleichzeitig ihre Produktivität um 60 Prozent erhöht und trägt 7 Prozent zum BIP bei. Sie ist ein zentraler Pfeiler unserer Wirtschaft. Ähnlich war das Bild bis vor einigen Jahren in Deutschland. Und in Frankreich erfolgte eine massive Deindustrialisierung – trotz oder gerade wegen aktiver Industriepolitik.

Europa und die USA befinden zurzeit sich in einem hunderte Milliarden Euro verschlingenden Subventionswettbewerb, der Halbleiter über Wärmepumpen bis zu Energiepreisen für Industriefirmen umfasst. Intel will in Deutschland für ihre 17 Mia. Euro teure Fabrik eine fabulöse Subvention von 7 Mia. Euro. Bei Infineon kostet jeder neu geschaffene Arbeitsplatz den deutschen Steuerzahler 1 Mio. Euro. Erfahrungsgemäss führen Subventionen zu Überkapazitäten. Müssen diese wieder abgebaut werden, droht der Verlust dieser Gelder.

In der Schweiz verhindert die Schuldenbremse den Subventionswettlauf. Das ist gut so. Wenn wie heute Subventionen und Protektionismus die Politik von Brüssel bis Washington dominieren, bleibt für kleine, offene Volkswirtschaften wie die Schweiz nur ein Weg: besser und agiler werden. Dazu vier Ansätze:

(Berufs-)bildung, Arbeitsmarkt, Innovation

70 Prozent unserer jungen Menschen steigen über die Berufslehre in die Arbeitswelt ein. Als Lehrabgänger sind sie gesuchte Fachkräfte. Gemäss unseren Umfragen braucht die Industrie auf Jahre hinaus mehr junge Frauen und Männer mit einer Ausbildung als Polymechaniker, Automatiker oder Konstrukteur. Wir müssen die Berufsbildung weiter stärken. Dazu gehört auch der neu zu schaffende Titel Professional Bachelor, damit Lehrabgänger durch Firmen mit ausländischer HR-Software nicht aussortiert werden. Zudem soll die Grundschule wieder leistungsorientierter werden – Rechnen und Schreiben muss man vor der Lehrbeginn beherrschen. Investitionen in die Bildung sowie die Förderung von Forschung und Innovation brauchen Geld. Hier sind die Mittel des Bundes aber viel besser eingesetzt als mit Subventionen.

Diversifizierte Energiepolitik

Dank eines warmen Winters kam es in Deutschland und der Schweiz nicht zu einem Energiedesaster. Bereits in wenigen Monaten könnten wir weniger Glück haben. Deutschland hat seine AKWs definitiv abgestellt und setzt auf Kohle. Noch können wir es besser machen. Wir werden unsere AKW wohl 70 Jahre laufen lassen müssen. Und bis 2050 haben wir die Chance, grosse Solaranlagen zu bauen. Zudem sollte der Bau der 15 Wasserkraftprojekte rasch erfolgen. Falls diese Projekte aber am extremen Natur- und Landschaftsschutz scheitern, ist die Rückkehr der Kernkraft notwendig. Denn wir brauchen alle klimaneutralen Produktionsformen, um die Versorgungssicherheit sicherzustellen.

Freihandel global – und mit Europa

«Wandel durch Handel» ist trotz Erfolgen in Deutschland, Osteuropa, Südkorea, Taiwan etc. heute ein für viele ein Unwort. Die unabhängige Schweiz darf sich dem «Decoupling» nicht anschliessen: Nötig sind Handelsabkommen mit Mercosur, Indien, Thailand etc. Noch wichtiger ist die Sicherung des Bilateralen Wegs. Dafür braucht es eine Lösung bei den institutionellen Fragen. Eine pragmatische Lösung mit Europa wird unsere Unabhängigkeit sichern. Je rascher dies erfolgt, desto besser.

Pragmatik statt Dogmatik

Dank schlauer Pragmatik statt ideologischer Dogmatik war unser Land erfolgreich. Doch diese Tugend droht verloren zu gehen. Ein stures Festhalten an ideologisch überhöhten Begriffen hat zu unheiligen Allianzen geführt und Lösungen verhindert. Beispiele dafür sind der CS-Deal, die Neutralitätsfrage und der Bilaterale Weg. Es droht Stillstand und damit der Rückfall hinter andere Länder. Es wäre schade, wenn wir unsere Rahmenbedingungen eigenverschuldet verschlechtern und so auch unsere Tech-Industrie so in zehn Jahren hinter jene unserer wichtigsten Partner und Konkurrenten zurückfallen würde.

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