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Was ist ethisch – Internationalität oder Abschottung?

Was ist ethisch – Internationalität oder Abschottung?

Das Unternehmen «infomaniak – die ethische Cloud» macht mit dem Bild ihres CEO in Bahnhöfen wie Luzern wie folgt Werbung: «Wir verpflichten uns, unsere Arbeitsplätze niemals ins Ausland zu verlegen».

Die Firma kenne ich nicht – sie mag super sein. Die Werbung aber ist unangebracht und gefährlich. Sie stellt die Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland als unethisch dar. Das ist falsch und seinerseits geradezu unethisch:

1. Armut bekämpfen ist ethisch korrektes Verhalten: Von 1980, als namentlich Asien und Lateinamerika in die globalen Fertigungsketten integriert wurden - bis vor COVID - nahm kaufkraftbereinigt die absolute Armut (unter 1.9 USD / Tag / Kopf) um sagenhafte fast 80% ab (Stand 2018). Schwellen- und Entwicklungsländer kommen dank Arbeitsplätzen zu Wohlstand, Gesundheitsversorgung und Schulen, der Mittelstand in Industriestaaten kann sich dank langfristig fallenden Preisen immer mehr leisten. Generell nahmen die Einkommensunterschiede zwischen den Staaten ab. Kurz: die Welt wurde reicher und gleicher. Das muss jede ethisch verantwortliche Person enorm freuen!

2. Neid ist ein unethischer Antrieb: Die Integration dieser Länder in globale Lieferketten führte zu einer Verlagerung von Arbeitsplätzen. Viel wichtiger ist aber eine andere Entwicklung: Generell sind grob 9 von 10 wegfallenden Stellen in Industrieländer auf technologischen Fortschritt und nicht internationalen Handel und Globalisierung zurückzuführen. Doch indem unsere Unternehmen bei der Innovation führend sind und ihre Mitarbeitenden dank Automatisation und Digitalisierung immer produktiver werden, schaffen wir bei uns immer neue Arbeitsplätze. So funktioniert das Job-Wunder Schweiz! Andere Länder versuchten Arbeitsplätze durch Protektionismus und Subventionen zu schützen und trotzdem verloren sie Jobs. Damit legten sie den emotionalen Boden für die die Wut auf im Ausland billiger produzierende Konkurrenz, der immer wieder von Populisten von Links und Rechts missbraucht wurde. Darauf spielt die Werbung an: Die Firma verlagert nicht ins Ausland und nimmt entsprechend keinen Schweizern die Arbeit weg.

3. Die Werbung ist aus Sicht einer kleinen, offenen Volkswirtschaft wie die Schweiz dumm: Die Tech-Industrie etwa ist extrem international ausgerichtet. Unsere 1350 Mitgliedfirmen exportieren 80% ihrer Güter direkt ins Ausland und der Grossteil des Rests findet über Schweizer Kunden den Weg ins Ausland. So sind Schweizer Fertigungsmaschinen für in der Schweiz gefertigte Uhrenteile nur dank des Exports der Uhren in alle Welt überlebensfähig. Würden wir die ganze Fertigungstiefe in der Schweiz haben und keine Vorprodukte importieren, wären unsere Produkte schlicht zu teuer: Wir könnten sie im Ausland nicht mehr verkaufen. Stattdessen wurde unsere Tech-Industrie in den letzten 20 Jahren pro Arbeitnehmer 65% produktiver und die lokale Wertschöpfung stieg sogar noch etwas stärker.

Wir machen also die wichtigste und wertvollste Arbeit hier in der Schweiz; den Rest importieren wir über ausländische Lieferanten oder über die eigenen Tochterfirmen. Diese Strategie war erfolgreich: Während Italien, Frankreich oder Grossbritannien 15 - 30% ihrer Industrie-Jobs verloren haben, kennt die Schweiz keine Deindustrialisierung. Weiter beschäftigt unsere Industrie +/- 5% 325'000 Mitarbeitende. Oxford Economics sieht für die Schweizer Industrie dank Innovation und Produktivität bis 2027 klar bessere Wachstumschancen als in Europa.

4. Die Werbung ist auch menschenrechts- und geopolitisch falsch: Die Welt ist heute multipolar. Um Schwellen- und Entwicklungsländer tobt ein Kampf, wem sich diese Länder anschliessen – dem Westen oder China etc. Unser Wirtschafts- und Politsystem hat nach fünf Jahren Protektionismus, Sanktionen und Inflation - verursacht durch eine Geldschwemme unserer Zentralbanken - an Attraktivität eingebüsst. Hier sind unsere oft jahrelang im Ausland beschäftigten Mitarbeitenden, insgesamt 550'000 weltweit, welche unsere Werte in Beruf und Gesellschaft kennen und schätzen gelernt haben, die glaubwürdigsten Wertebotschafter.

Wahrscheinlich hat sich infomaniak bzw. deren Werbeagentur gar nicht solche Gedanken gemacht, sondern die Gefühlslage der Bevölkerung ausnutzen wollen, um ihre Schweizer Cloudlösung zu vermarkten. Der Firma wünsche ich viel Erfolg.
Uns als Gesellschaft wünsche ich einen offeneren und differenzierten Bezug zur Internationalität statt Populismus. Damit unsere Gesellschaft und unser Land dank bester Bildung, höchstem Einsatz der Mitarbeitenden, Innovation und der Lösungs- und Kompromissfähigkeit die grossen Herausforderungen in einer raueren Welt weiter erfolgreich meistern kann.

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