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Waffenexporte und EU-Politik: Mein Interview mit der NZZ

Waffenexporte und EU-Politik: Mein Interview mit der NZZ

Warnruf aus der Industrie: «Wenn es hart auf hart geht, sitzt die EU am längeren Hebel» Europapolitik und Waffenexporte: Diese Themen stressen die Maschinenindustrie. In der NZZ durfte ich als Swissmem-Direktor den Standpunkt der Industrie vertreten - und fordere rasche Lösungen. Sicherheitspolitisch ist die Lage katastrophal.

Interview: Fabian Schäfer, Bern

Fabian Schäfer: Herr Brupbacher, welches sind die grössten Sorgen der Branche?

Stefan Brupbacher: Wir haben es mit einem weltweiten industriellen Abschwung zu tun, wichtige Absatzmärkte wie Deutschland oder China laufen besonders schlecht. Die Auftragseingänge sind rückläufig. Die Zinsen steigen. Und der starke Franken bleibt eine grosse Belastung.

FS: Nicht erwähnt haben Sie die Europapolitik. Der Bundesrat entscheidet erst nach den Wahlen, wie es weitergeht. Sind die Unklarheiten im Verhältnis zur EU für die Branche kein Problem?

Doch, ein grosses sogar. Aber im Unterschied zu den anderen Problemen hat die Schweiz die Europapolitik selber in der Hand. Zudem kommt für die meisten Firmen die Verschlechterung schleichend und ist heute noch nicht voll spürbar. Das macht diese Diskussion auch so schwierig. Direkt betroffen sind beispielsweise Firmen, die unter der Zurückstufung der Schweiz bei EU-Programmen in der Forschung oder der Raumfahrt leiden. Die Verunsicherung ist aber bei allen Firmen gross, denn EU-Staaten sind mit fast 60 Prozent unserer Exporte der grösste Absatzmarkt. Man sieht die Wolken am Horizont und fragt sich zunehmend frustriert, wann der Bundesrat endlich eine Lösung findet.

FS: Was sind konkret die Befürchtungen?

Dass wir ein noch gravierenderes Fachkräfteproblem haben, weil mittelfristig auch die Personenfreizügigkeit infrage gestellt wäre. Dass die Schweiz auf Jahre hinaus vom grössten Forschungsprogramm der Welt ausgeschlossen wird. Und, noch viel gravierender: dass unsere Stromversorgung im Winter nicht mehr gesichert ist, wenn ab 2026 alle EU-Staaten 70 Prozent der Netzwerkkapazitäten für den EU-internen Handel reservieren müssen, bei uns ein Kernkraftwerk ausserplanmässig in Revision ist und wir kein Stromabkommen haben. Dann drohen Blackout und Stromkontingentierung.

FS: Die EU führt im Maschinenbau neue Regeln ein, weigert sich aber, das bilaterale Abkommen zur Anerkennung von Produktezulassungen anzupassen. So will sie die Schweiz unter Druck setzen. Was bedeutet das für Ihre Branche?

Das betrifft zum Glück nur einen kleinen Teil unserer Produkte. Wenn es dabei bleiben würde, könnte man damit notfalls leben. Aber es ist zu befürchten, dass die EU den Druck weiter erhöht, wenn keine Einigung gelingt. Sie hat leider Mittel und Wege, auch unserer Branche das Leben noch schwerer zu machen . . .

FS:. . . woran denken Sie?

Ich will nicht ins Detail gehen. Nur so viel: Wir sollten die Machtverhältnisse realistisch einschätzen. Es stimmt zwar, dass die EU in der Schweiz einen Exportüberschuss von 20 Milliarden Franken erzielt. Aber wenn es hart auf hart geht, sitzt sie am längeren Hebel: Wir verdienen mit Güterexporten in die EU 12 200 Euro pro Einwohner, die EU umgekehrt nur 270 Euro. Man kann leichter auf 270 Euro verzichten als auf 12 200.

FS: Rechnen Sie mit einer Eskalation?

Als Vorsitzender des europäischen Tech-Verbands Orgalim spüre ich am eigenen Leib, wie gewisse EU-Kreise die Geduld mit uns verlieren. Und mit der Neutralitätsdiskussion im Ukraine-Krieg hat das Unverständnis gegenüber der Schweiz weiter zugenommen, vor allem in Osteuropa. Bisher setzte die EU beim Börsenhandel an, bei der Forschung und den Zertifizierungen, um uns unter Druck zu setzen. Wenn die Gespräche jetzt aber nach all den Jahren erneut scheitern, besteht das Risiko einer Eskalation. Das sollten wir vermeiden.

FS: Was macht Sie so pessimistisch? Die Schweiz steht wirtschaftlich immer noch besser da als praktisch alle EU-Länder.

Ja, aber wenn das auch so bleiben soll, brauchen wir geregelte Beziehungen mit der EU. Ohne privilegierten Marktzugang, ohne sichere Stromversorgung und international vernetzte Spitzenforschung werden wir unseren Wohlstand langfristig nicht halten können. Hochmut kommt vor dem Fall.

FS: Die Gewerkschaften sagen, die geplante Einigung mit der EU bedrohe den Lohnschutz. Sie verlangen inländische Massnahmen wie nationale Mindestlöhne oder die einfachere Ausweitung verbindlicher Gesamtarbeitsverträge (GAV). Bieten Sie dazu Hand?

Keinesfalls. Vorab: In unserer Branche gibt es kein Lohndumping. Wir wehren uns zudem dagegen, dass man immer so tut, als sei dies die Position aller Gewerkschaften. Gerade in unserer Branche sind pragmatische Arbeitnehmerverbände wie Angestellte Schweiz und der Kaufmännische Verband stark verankert. Sie sind seit Jahren offen für vernünftige Lösungen. Die radikalen Forderungen der anderen Gewerkschaften haben nichts mit dem EU-Dossier zu tun. Der Lohnschutz kann problemlos mit Verbesserungen beim Vollzug der flankierenden Massnahmen gesichert werden, dazu bieten wir auch Hand.

FS: Das sehen die Gewerkschaften anders . . .

. . . aus purem Kalkül. Es geht dem radikalen Teil der Gewerkschaften um Macht und Geld. Die Kontrolle allgemeinverbindlich erklärter GAV bringt hohe Einnahmen. In Branchen mit solchen GAV sind die Arbeitgeber gefangen, sie müssen obligatorisch hohe Vollzugs- und Weiterbildungsbeiträge zahlen. Anders bei unserem GAV, dem ältesten der Schweiz: Hier kann eine Firma aussteigen, wenn sie zum Beispiel die 42-Stunden-Woche einführen will. Im Gegenzug muss sie auf die Friedenspflicht verzichten. Das ist echte Sozialpartnerschaft – eine ohne Zwang.

FS: Sie reden von den Gewerkschaften, aber es braucht jeweils zwei. Ohne Arbeitgeber gibt es keinen allgemeinverbindlichen GAV.

Tatsächlich gibt es leider einige wenige Arbeitgeberverbände, die dieses Spiel mitmachen und plötzlich versuchen, in Untersektoren einen GAV allgemeinverbindlich erklären zu lassen. Schon heute werden viel zu viele GAV erleichtert allgemeinverbindlich erklärt, obwohl die Vorgaben nicht erfüllt sind.

FS: Das ist nur möglich, wenn das Wirtschaftsdepartement des SVP-Bundesrats Guy Parmelin zustimmt.

Dieser Trend setzte bereits vor über zehn Jahren ein. Er fördert eine konfrontative Sozialpartnerschaft und gefährdet letztlich das erfolgreiche Schweizer Modell. Das ist schlecht für alle. Dass wir praktisch Vollbeschäftigung haben, hat viel damit zu tun, dass unser Arbeitsmarkt bis jetzt relativ flexibel ist.

FS: Der Deal mit der EU würde laut den Gewerkschaften wirkungsvolle Lohnkontrollen erschweren, weil die Voranmeldefristen kürzer wären und nicht mehr alle Betriebe eine Kaution hinterlegen müssten.

Und wegen dieser Herausforderung sollen willkürlich Branchen wie unsere in Geiselhaft genommen werden, die kein Problem mit Missbrauch haben? Sicher nicht. Bereits heute haben wir eine sehr hohe Kontrolldichte. Der Lohnschutz lässt sich mit Optimierungen in der Umsetzung und einer besseren Prävention sichern: mit einem modernen Anmeldesystem und der Verwendung künstlicher Intelligenz, die verdächtige Firmen erkennt. Soweit möglich, kann man zudem mit höheren Strafen die Abschreckung erhöhen. Wenn wir das richtig machen, können wir den Lohnschutz sogar verbessern. Swissmem ist jederzeit bereit, an solchen konstruktiven Lösungen mitzuwirken.

FS: Die Gewerkschaften haben im EU-Dossier grossen Einfluss. Was wäre schlimmer: wenn die Politik ihren Forderungen nachgibt oder wenn der Deal mit der EU scheitert?

Das ist die falsche Frage. Die Politik muss sachorientiert entscheiden, was sie für richtig hält. Sie darf sich nicht erpressen lassen und damit den wichtigen Standortvorteil des flexiblen Arbeitsmarkts gefährden. Die Gewerkschaften werden es sich gegenüber den Arbeitnehmenden kaum leisten, eine Einigung mit der EU aus Machtkalkül zu blockieren.

FS: Sie selbst haben eine interessante Vergangenheit in diesem Dossier: Als 2018 der Streit mit den Gewerkschaften eskalierte, der zum Scheitern des Rahmenvertrags beitrug, waren Sie die Nummer 2 im Wirtschaftsdepartement. Was lief da schief? Sehen Sie aus heutiger Sicht Fehler?

Die Gewerkschaften haben damals mutwillig eine Seite aus einer vertraulichen Dokumentation von uns aus dem Kontext gerissen und veröffentlicht, um den Eindruck zu erwecken, wir wollten den Lohnschutz opfern. Dabei listete diese Seite nur die Kritikpunkte der EU auf, nicht unsere eigenen Absichten. Die Gewerkschaften suchten einen Vorwand, um nicht an den Verhandlungstisch zu kommen. Das habe ich als Verstoss gegen Treu und Glauben empfunden.

FS: In Bern sagen manche, das Wirtschaftsdepartement habe die Gewerkschaften zu wenig einbezogen und damit die politische Europa-Allianz zerstört.

Das weise ich zurück. Es gab in den letzten Jahrzehnten wohl kaum einen überzeugteren Verfechter der Sozialpartnerschaft im Bundesrat als Johann Schneider-Ammann. Wir haben uns intensiv bemüht, aber die harten Gewerkschaften wollten partout nicht mitdiskutieren. Heute hingegen sind sie gesprächsbereit, weil sie sehen, dass Totalwiderstand das linke Lager unter Druck setzt.

FS: Auch in der Wirtschaft und im bürgerlichen Lager sind manche gegen einen Deal mit der EU. Ihnen geht es um Themen wie Zuwanderung, Rechtsübernahme und Streitschlichtung. Sie warnen vor einem «Rahmenvertrag 2.0». Wie wollen Sie diese Kritiker überzeugen?

Klar: Jeder Vertrag ist ein Kompromiss. Aber was heute diskutiert wird, ist besser als der Rahmenvertrag. Es gibt keine «Super-Guillotine» mehr, bei deren Auslösung alle Abkommen wegfielen. Beim Zugang zur Sozialhilfe und bei der Ausschaffung von Kriminellen sind laut Medienberichten garantierte Ausnahmen in Aussicht gestellt. Und die Streitschlichtung ist besser als ihr Ruf: Würde die EU einmal Ausgleichsmassnahmen gegen uns ergreifen, sicherte ein unabhängiges Schiedsgericht, dass sie verhältnismässig wären – nicht der Europäische Gerichtshof. Wir bleiben also frei. Das sind vertretbare Konzessionen, die unsere Souveränität nicht bedrohen.

FS: Sprechen wir über ein anderes Thema, das Sie bereits in Bern umgetrieben hat: Waffenexporte. Der Bundesrat verbietet befreundeten Ländern, Kriegsmaterial, das sie vor Jahren bei uns gekauft haben, an die Ukraine weiterzugeben. Was heisst das für Firmen in Bereichen wie Rüstung und Sicherheit?

Es ist verheerend. Während andere Länder angesichts des Kriegs ihre Rolle neu definieren, versteckt sich die Schweiz unter Druck der Neutralitätsinitiative hinter einer unhistorischen, radikalen Definition von Neutralität. Früher war sie ein Mittel zum Zweck. Wir setzten sie sehr flexibel ein, im zweiten Irakkrieg etwa haben wir die USA beliefert. Heute aber muss sich jeder Staat fragen, ob unsere Rüstungs- und Sicherheitsfirmen noch verlässlich sind.

FS: Sind sie es?

Sie sind es – aber die Schweizer Regeln nicht. Jeder Staat muss davon ausgehen, dass er hier gekauftes Kriegsmaterial in einer Krise nicht weitergeben darf – schlimmer noch: dass er keinen Nachschub erhält, wenn er selbst in einen Krieg verwickelt wird. Das ist wirtschaftlich und sicherheitspolitisch katastrophal. Ohne Exportmöglichkeit gibt es bald keine Schweizer Rüstungsfirmen mehr. Das wäre ein Sicherheitsrisiko: Wer würde unsere Armee im Krisenfall beliefern, wenn wir uns derart abkapseln?

FS: Was hätte der Bundesrat tun sollen?

Nach Kriegsausbruch hätte er die Wiederausfuhrbewilligung für Staaten mit denselben Exportkontrollregeln wie die Schweiz abschaffen können. Das hätte auch rückwirkend für früher getätigte Geschäfte gelten können. Internationales Neutralitätsrecht schreibt gar keine Wiederausfuhrbewilligung vor.

FS: Dann müsste die Schweiz aber auch dulden, dass die Waffen an Russland gehen.

Ein solches Szenario ist extrem unwahrscheinlich. Welcher Staat sollte so etwas machen?

FS: In Ihrer Berner Zeit kämpften Sie mit Bundesrat Schneider-Ammann für eine Lockerung der Waffenexporte in Länder mit internen Konflikten. Die Empörung war gross, die Korrekturinitiative wurde lanciert. Am Ende hat das Parlament die Regeln verschärft. Dies ist der Hauptgrund der heutigen Probleme. Sehen Sie aus heutiger Sicht Fehler?

(überlegt) Inhaltlich lagen wir richtig. Es ging nur um Defensivwaffen wie Flugabwehr, die nicht gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt werden können. Politisch aber war das wohl meine grösste Fehleinschätzung. Ich hatte die Mobilisierungsfähigkeit der Gegner von den NGO bis zu den Kirchen unterschätzt. Das Parlament hat dann alles noch schlimmer gemacht, indem es die Ausnahmeklausel strich. Aber aufgepasst: Das war alles vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine und dem Ende des europäischen Traums des ewigen Friedens. Heute würde die Mehrheit wohl anders entscheiden.

FS: Sicher? Bisher sind alle Änderungsversuche gescheitert.

Ja – wegen einer unheiligen Allianz aus Pazifisten und Kräften, welche Neutralität dogmatisch interpretieren. Hoffen wir, dass nach den Wahlen auch in diesem Dossier pragmatische Lösungen wieder möglich sind, gerade auch mit der SVP. Streiten sich in der Sicherheitspolitik die bürgerlichen Parteien, freuen sich die Armeeabschaffer. Das gefährdet nicht nur die Sicherheitsindustrie der Schweiz und damit unsere Verteidigungsfähigkeit, sondern auch die Finanzierung der Armee. Das ist ein Spiel mit dem Feuer.

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